Letztes Spiel, letzte Liebe. "Rudolf, endlich bist du wieder bei mir!" Rudolf stand vor mir. Mit seinem lieben Lächeln hatte er meine rechte Hand gefaßt und einen Kuß darauf gehaucht. "Elsie, Schatz, mit diesem kostbaren Ring wird deine schöne Hand noch schöner. Du sollst ihn nur für mich tragen." Der Traum endete. Ich war allein, wie ich es nun immer sein werde. Ich vergrub meinen Kopf weinend in den Kissen. Damit war die Nacht für mich vorbei. Ich ging in die Küche, machte mir Kaffee und spazierte mit der Tasse in das Wohnzimmer. Hier hatte ich oft mit Rudolf gesessen. Die Erinnerungen stellten sich mit aller Kraft ein. Ich hätte Rudolf nie kennen gelernt, wenn ich nicht eine Freundin in Hamburg besucht hätte. Im Intercity saß mir ein Mann gegenüber, der mir gefiel. Er war nicht mehr jung, sein noch volles Haar war schneeweiß. Er wirkte gepflegt, war gut und klassisch gekleidet. Diesen Stil liebte ich. Ich schätzte ihn auf siebzig, so alt war ich auch. Ich wünschte, daß er sich mit mir unterhalten würde. Aber er war vertieft in seine Zeitung und schaute nicht zu mir. Ich wollte gerade ein Buch aus meiner Tasche holen, als er die Zeitung weg steckte. Endlich nahm er von mir Kenntnis. Das Gespräch begann mit der Frage, wohin meine Reise gehe. Als ich ihm verriet, daß ich nach Hamburg führe, entgegnete er mit strahlendem Gesicht: "Welch ein Zufall, Hamburg ist auch meine Endstation. Übrigens, mein Name ist Rudolf Falter." Es dauerte nicht lange, da wußte er den Grund meiner Reise und als ich in Hamburg ausstieg, hatte ich ihm wohl schon mein ganzes Leben erzählt und vergessen, daß ich Falter, als ich in Köln in diesen Zug einstieg, noch gar nicht gekannt hatte. Er hatte eine Art Fragen zu stellen, die mich verleitete, viel mehr zu sagen, als ich eigentlich wollte. Dabei war ich sonst zu Fremden sehr zurückhaltend. Ich gab ihm die Telefonnummer meiner Freundin. Am nächsten Tag rief er an und wollte wissen, ob mir die Reise gut bekommen wäre. Dann sagte er. "Ich habe morgen zufällig Zeit. Ich könnte den ganzen Tag mit Ihnen durch die Stadt bummeln." Ich stimmte seinem Vorschlag begeistert zu. Es wurde ein schöner Tag. Ich hoffte, aufgeregt wie ein junges Mädchen, auf den Satz: 'Ein Wiedersehen morgen wäre sehr schön!' Stattdessen erklärte er, daß er ab morgen keine freie Minute mehr wegen wichtiger Verhandlungen haben würde. Tröstend fügte er hinzu: "Das muß jetzt kein Abschied für immer sein, ich bin bald in Bonn. Darf ich dann anrufen und mit Ihnen in Köln essen gehen? Ich würde Sie sehr gerne wiedersehen." Falter hatte oft in Bonn zu tun und jedesmal besuchte er mich. Er war ein wunderbarer Mann. Ich wurde eitel, wenn er seinen Besuch ankündigte, lief zum Frisör, ging zur Kosmetikerin, probierte stundenlang vor dem Spiegel Kleider an. Nie kam er ohne Blumen. Er war liebevoll und zärtlich. War es möglich, daß ich mich in diesem Alter noch einmal verliebt hatte? Ich müßte mich eigentlich für dieses Gefühl schämen, aber es war nichts Unrechtes dabei. Zehn Jahre war ich schon allein, seither hatte es nie mehr einen Mann gegeben, in dessen Nähe ich meine Einsamkeit vergessen konnte. Die Nacht wich der Dämmerung. Längst war der Kaffee kalt geworden. Ich zitterte, war es Kälte oder Verzweiflung? Ich ging wieder in mein Bett und wälzte mich unruhig hin und her. Der Morgen begann grau, es regnete. Das paßte zu meiner Stimmung. Jetzt wäre ich gern liegen geblieben. Aber es blieb mir nichts anderes übrig, ich mußte mich stellen. Rechtsanwalt Dr. Räder, den ich seit sehr vielen Jahren kannte, erwartete mich um zehn Uhr. Als ich Dr. Räder dann gegenübersaß. nickte er mir freundlich zu und sagte: "Liebe Frau Bauer, Sie haben viel Schweres in den letzten Tagen durchgemacht. Vielleicht wollen Sie nichts mehr davon hören. Aber Sie werden vor Gericht als Zeugin gegen diesen Falter aussagen müssen, ich würde gerne alles mit Ihnen durchsprechen." "Ja natürlich, ich verstehe. Bitte fragen Sie." "Ihr Mann hinterließ Ihnen ein großes Vermögen. Sie haben mir Ihr Vertrauen geschenkt und ich konnte Sie in vielen Dingen beraten. Warum haben Sie dieses Mal alle Vorsicht fallen lassen und nicht mit mir gesprochen? Gut, sehr persönliche Dinge spielten da mit. Aber das ist immer die Gefahr in Gelddingen." Ich wußte nicht, wo ich anfangen sollte, aber dann sprach ich: "Ich bin selbst schuld, daß Falter so viel Geld von mir bekommen hat, er wollte es gar nicht. Ich habe es ihm aufgedrängt. Mich reizte die große Rendite, die Falter erzielte. Zuerst hat er über meine Gewinnsucht nur gelacht. Ich hätte es doch nicht nötig, bei meinem Vermögen! Aber dann konnte ich ihn überreden. Den Anfang machte ich mit fünftausend Mark, die mir nach kurzer Zeit tausend als Gewinn einbrachten. Und dann gab ich ihm immer mehr, mal waren es zehn- dann zwanzigtausend Mark. "Hatte er jemals verraten, womit er soviel Gewinn erzielte?" "Das hat er nie gesagt. Er meinte nur, ich dürfe nicht glauben, daß Insider Dinge kauften, die Hinz und Kunz kaufen könnten. Für wirklich große Sachen müßte man seine Beziehungen haben. Ich sollte niemanden davon erzählen, es könnte Neid hervorrufen." "So, dann hat er Ihnen immer das Geld zurückgegeben und sie haben es wieder angelegt?" Ich scheute mich, es auszusprechen: "Ich war so verblendet von dem leichtverdienten Geld, daß ich den Vorschlag machte, er solle es sofort mit dem Gewinn wieder anlegen. Darüber schien er erleichtert zu sein, weil er dann mit den großen Summen nicht herumfahren müßte. Falter wohnte in Berlin." Räder fragte weiter: "Wissen Sie denn, wieviel Geld Sie ihm gegeben haben?" Ich rechnete nach, so genau wußte ich es eigentlich nicht, mal waren es fünf, dann zehntausend Mark. Aber dann sagte ich: "Ich glaube, daß es bis vor einer Woche an die vierzigtausend waren, die mir fünfzig Prozent Gewinn brachten. Sie können gewiß verstehen, daß mich das reizte." Räder runzelte die Stirn: "Haben Sie das wirklich geglaubt. Er hat Ihnen nie Schriftliches gezeigt. In Wirklichkeit hat Falter keinen Pfennig angelegt, sondern das Geld in die eigene Tasche gesteckt. Es war ein Glück, daß Sie ihn so schnell durchschaut haben. Es hätte nicht lange gedauert und Sie wären eine arme Frau geworden. Die vierzigtausend werden Ihnen nicht allzu weh tun." Ich zögerte, ehe ich weiter sprach: "Das ist noch nicht alles. Falter erzählte mir vor knapp einer Woche, daß er etwas Neues habe. Er selbst hätte hunderttausend reingesteckt, für die er mit Gewißheit zweihunderttausend zurück erhalte. Falls ich Mut und sechzigtausend hätte, könnte er so ein Geschäft auch für mich einleiten." "Das haben Sie natürlich gemacht! Mir fehlen die Worte! Solch ein Leichtsinn. Frau Bauer, ich kann Sie nur als Spielerin bezeichnen." Dr. Räders Stimme war laut geworden. Wie eine arme Sünderin saß ich in meinem Sessel, er hatte ja recht. Aber Räder kannte Falter nicht, er war so überzeugend. Er hatte sich immer geweigert, mein Geld zu nehmen, ich mußte fast kniefällig bitten, mir auch solche Chancen zu geben. Er tat immer, als wäre es ihm peinlich. Räder schüttelte den Kopf: "Sie sind von ihm verhext worden. Wurden Sie niemals argwöhnisch?" "Natürlich", antwortete ich, "anfangs hatte ich jedesmal mit Herzklopfen auf ihn gewartet. Ich dachte, vielleicht brennt Falter mit dem Geld durch. Aber er kam immer pünktlich zur verabredeten Zeit. Ich schämte mich dann meines Mißtrauens." "Aber Sie haben doch niemals einen Pfennig von dem Gewinn gesehen!" "Das stimmt nicht. Er schlug vor, daß ich mir einen wertvollen Ring für die ersten Sechstausend kaufen sollte. Ich wehrte ab und verriet, daß ich im Tresor sehr viele kostbare Schmuckstücke hätte, die ich kaum tragen konnte, weil es zu gefährlich ist." "Das haben Sie ihm gesagt? Oh Gott, vielleicht haben Sie ihm auch noch alle Kostbarkeiten gezeigt!" "Ja, ich muß es gestehen. Ich habe sie ihm stolz gezeigt. Aber das erste nach seiner Verhaftung war, daß ich meine Schmuckstücke mit der von meinen Mann aufgestellten Liste verglich. Es fehlte nichts." "Dazu gratuliere ich. Aber nun zu dem Ring, den Falter angeblich mit Ihrem Geld in Köln gekauft hatte. Ich habe ihm einem Juwelier vorgelegt, weil mir Bedenken kamen. Sechstausend hat er dafür bezahlt? Er ist keine fünfhundert wert!" Räder erhob sich und trat zu mir: "Ich will heute nicht weiter in Sie dringen, ich sehe, Sie sind sehr erschöpft. Ich werde mich um die Angelegenheit kümmern." Jetzt saß ich wieder allein zu Hause. Räder wußte nicht alles, ich hatte ihm verschwiegen, daß Falter von Berlin aus angerufen und mir noch eine Sache mit weiteren Einhundertfünfzigtausend vorgeschlagen hatte, die sich verdoppeln würden. Dieses Geschäft liefe von Amsterdam aus. Wenn ich die Summe zur Verfügung hätte, würde er mit meinem Wagen sofort dorthin fahren. Er hatte gesagt, diesmal käme er mit dem Flugzeug bis Köln, das ginge schneller. Welch ein Glück für mich, vor dieser Dummheit bewahrte mich das Schicksal in Gestalt meiner Cousine Lenchen. Sie besuchte mich einen Tag bevor Falter kommen wollte. Am liebsten hätte ich sie gar nicht hereingelassen, denn gewiß erzählte sie mir wieder die Geschichte ihrer Verlobung mit diesem vielfachen Millionär aus Amerika. Ich kannte sie auswendig. Jung war sie gewesen , hatte ein gutes Vermögen von ihren Eltern geerbt, aber einen Mann konnte sie nicht einfangen, sie war nicht besonders ansehnlich. Dann kam dieser Robert Färber aus Amerika, er wollte in Deutschland eine neue Schiffahrtslinie errichten und ausgerechnet Lenchen als Geschäftsführerin einsetzen. Aber erst einmal überredete er sie, große Beträge für seine Schiffsbestellungen vorzustrecken, da der Geldtransfer aus Amerika monatelang dauern würde. Bei meinem Besuch damals gab sie mir einen Luftpostbrief zum Lesen, den sie von Färber aus Amerika bekommen hatte. Als ich den Brief wieder in den Umschlag steckte, sah ich, daß die Briefmarke einen Kölner Poststempel trug. Ehe ich etwas sagen konnte, zeigte Lenchen auf einen Mann, der im Garten spazieren ging:."Da ist Robert. Er hat nicht gerne Besuch, besser Ihr geht nun." Als ich meinem Mann zu Hause von dem ominösen Brief erzählte, erschien ihm dieser Färber sehr verdächtig und er beriet sich mit seinem Rechtsanwalt. Es ging sehr schnell damals, eine arme verlassene Braut blieb zurück und Falter wanderte als Heiratsschwindler ins Gefängnis. Kaum das Lenchen jetzt neben mir saß, zog sie auch schon wieder das einzige Foto von ihrem Robert aus der Tasche. Wie war sie wütend gewesen, als mein Mann bei jenem Besuch dieses Foto durch das Fenster schoß. Jetzt war das Bild ihr Trost und sie schleppte es überall mit. Sie fuchtelte mir damit vor dem Gesicht herum. Ich schaute mir das zerknitterte Bild nie an, aber diesmal fiel mein Blick darauf. Robert hatte braune Augen, genau so dunkel waren die Augen von Rudolf und die kleine Narbe direkt über der rechten Augenbraue hatte er auch. In diesem Moment blieb mein Herz fast stehen. Ich rannte in das Badezimmer und erbrach mich. Dann sah ich die Manschettenknöpfe liegen. Ich riß mir fast die Haare aus, bitter flüsterte ich: "Wie gut, daß du immer RF als Monogramm führen konntest, da brauchtest du nicht jedesmal neue Knöpfe kaufen." Oh, ich hätte es besser wissen müssen. Ich dumme, verliebte alte Schachtel. Jetzt war ich auch auf so einen Lumpen reingefallen und noch dazu auf den gleichen, wie damals Lenchen. Als diese endlich gegangen war, raffte ich mich auf und wählte mit zitternden Fingern die Nummer des Polizeipräsidiums. Am nächsten Tag kam Falter, er hatte wie immer einen Blumenstrauß in der Hand, den er fallen ließ, als hinter ihm eine Stimme erklang: "Das Spiel ist aus, Herr Richard Fink, alias Robert Färber, alias Rudolf Falter. Es wird auch Ihr Letztes gewesen sein!" Sein letztes Spiel - meine letzte Liebe. Frisör, Kosmetikerin, teure Kleider, nichts würde mehr die Frau aus mir machen, die ich vor drei Tagen noch gewesen war. Jetzt bin ich wirklich eine alte Frau. *** |