Sommerblumen leuchten bei Freud und Leid "Hannes Diehsel ist der Fahrer unseres Schulbusses. Er fährt sehr sicher und hat noch nie einen Unfall gehabt. Er ist immer pünktlich auf die Minute und war noch keinen Tag krank." das erzählte Paul Rimpler dem Wirt von der Wilhelmshöhe. Rimpler hatte ein kleines Busunternehmen in einer westfälischen Kleinstadt. Er schwörte auf Hannes, auf ihn war immer Verlaß. "In wenigen Tagen feiert Herr Diehsel sein fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum. Meine Frau und ich wollen diesen Tag festlich gestalten. Wir wollen mit ihm, seiner Frau und einigen Freunden bei ihnen gut essen und gemütlich beisammensitzen," Rimpler überlegte kurz, ehe er fortfuhr "Hannes Diehsel liebt Blumen, daher sollen, so meint meine Frau, auf den Tischen, viele leuchtende Sommerblumen stehen." Der so Gelobte befand sich mit seinem Bus auf der Fahrt nach Berlin. Heute waren die Abgangsschüler zu einer mehrtägigen Klassenfahrt nach Berlin gestartet. Hannes war der Busfahrer, viele Schüler kannte er. Er holte sie täglich in den nahen Dörfern ab, um sie zur Schule zu bringen. Bald würde Hannover erreicht sein, dort sollte ein zweiter Fahrer zusteigen. Hannes zürnte in Gedanken immer über diese für ihn unverständliche Regelung. Am Steuer wurde er nie müde. Er liebte das Gefühl, hoch über dem Verkehr an seinem Steuer zu sitzen und die kleinen Flitzer neben sich zu beobachten, die ihn oft mit überhöhter Geschwindigkeit überholten. Dann ließ er warnend sein Signal ertönen. Er freute sich, daß die Jugendlichen hinten auf den Sitzen lachten und mitsangen, wenn er ein paar moderne Musikkassetten auflegte. Für diese Fahrt hatte er sie sich vom Sohn seines Nachbarn ausgeliehen, sein eigener Vorrat erschöpfte sich in alten Schlagern und Volksliedern, die er auflegte, wenn er mit Vereinen oder Senioren zu einem Ausflug startete. Von ihnen bekam er oft Trinkgelder. Er hatte sie gespart, damit er in einem halben Jahr, wenn er Silberhochzeit feiern würde, mit seiner Frau eine große Kreuzfahrt unternehmen könnte. Schmunzelnd dachte er an diese Überraschung für seine Frau. Ach ja, Hilde, mit ihr hatte er das große Los gezogen. Er war überhaupt ringsherum zufrieden mit seinem Leben, es könnte ruhig noch ein paar Jahrzehnte so weiter gehen. Sein Bus war heute vollgeladen mit vierzig Schülern und vier Lehrpersonen. Sie sprachen laut und lachend miteinander, einige packten schon ihre Butterbrote aus, andere hatten die Stöpsel ihrer Walkmans in den Ohren. Ein Lehrer nahm das Mikrophon zur Hand und gab das Tagesprogramm bekannt. Hannes fand, daß die Autobahn schon sehr besetzt war. Kurz vor Hannover gab es viele Baustellen, langsam rollte der Verkehr, manchmal stockte er ganz. Wenn freie Fahrt war, fuhr Hannes zügig, aber er behielt immer die vorgeschriebene Geschwindigkeit bei. Schon wurde wieder eine Baustelle angekündigt. Diesmal wurde der Verkehr auf einer Bahn zusammengeführt. Hannes liebte diese eingeengten Spuren nicht. Er blieb auf der rechten Fahrbahn, aber Leute, die es eilig hatten, zogen mit unerlaubter Geschwindigkeit an ihm vorbei, dabei war diese zweite Fahrbahn nur zwei Meter breit und nur durch gelbe Markierungen abgegrenzt. Ein Schlenker und es konnte Schlimmstes passieren. Hannes beobachtete die Autos, wie sie sich bedrängten. Dann ging alles blitzschnell, Hannes faßte es noch nicht mit seinem Verstand, aber sein Körper, seine Hände reagierten wie eine Maschine. Fußbremse, Handbremse, die Lenkung leicht nach rechts ziehen, Vorsicht, sacht, nicht zu plötzlich. Ein Fahrer von der Gegenfahrbahn geriet mit hoher Geschwindigkeit auf die andere Spur. Sein Auto stieß frontal mit einem Fahrzeug zusammen. Das geschah kurz vor seinem Bus, der Fahrer des folgenden Autos versuchte in einer völlig falschen, ja tödlichen, Reaktion, sein Fahrzeug stark nach rechts einzuschlagen, aber statt dem Unglück zu entkommen, erfaßte ihn nun der Bus. Es gab kein Entrinnen. Hannes fühlte einen wahnsinnigen Schmerz in seinerBrust, fallen lassen war seine erste Regung. Aber er bezwang sich, er mußte unbedingt die Türen öffnen. Er betätigte die automatische Öffnung, jeder Handgriff fiel ihm unendlich schwer. Langsam schoben sich die Türen zurück. Hinter ihm erklangen Schmerzensschreie, viele von den Jungen und Mädchen waren von den Sitzen gestürzt. Immer wieder ging ein Ruck durch den Bus, nachfolgende Autos fuhren weiter in das Knäuel von Blech. Hannes krächzte: "Raus! Schnell raus!" Manche Kinder waren unfähig, die zweite Tür zu finden, an der vorderen Tür standen sie dichtgedrängt und wagten nicht abzuspringen, denn neben dem Bus war die Leitplanke, dahinter ein Abhang. Dann entdeckte Hannes die Flammen am linken Busrand. Er wankte zur Tür. "Springt!" befahl er. Rücksichtslos stieß er ein Kind nach dem anderen hinaus. Sie waren jung und würden sich nicht so schnell etwas brechen, und wenn, immer noch besser als bei lebendigem Leib zu verbrennen. An der anderen Tür versuchten Lehrer nach dem ersten Schock, den Kindern die gleiche Hilfe zu geben. Zum Glück hatte wohl keiner schwere Verletzungen davon getragen. Die Flammen schlugen von links durch das kaputte Fahrerfenster. "Mein Gott", Hannes faltete die Hände, "gib uns noch eine Minute, laß sie nicht so sterben." Hannes ging durch den Bus. Nein, da war keiner mehr. Seine Brust schmerzte, seine Hände, seine Kleidung waren voller Blut. Hannes atmete erleichtert auf. Plötzlich brannte es überall um ihn herum. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei. Vier Tage später war in der Schulstadt der Platz vor der Kirche mit Blumen übersät, kostbare Gebinde, Sträuße aus einfachen Feldblumen und andere aus bunten, leuchtenden Blumen, wie sie in Bauerngärten wuchsen, lagen in einem weiten Umkreis. Die Menschenmenge, die auf Hannes wartete, war unübersehbar. Schulkinder standen auf beiden Seiten des Weges Spalier, sie wollten ihren Busfahrer auf dieser Fahrt nicht allein lassen. Dann kam der kleine, blumengeschmückte Wagen, gezogen von vier Lehrern in feierlichen, schwarzen Anzügen. Zu dieser Stunde hätte Hannes sein Jubiläum gefeiert. Die große Tafel im Restaurant wäre festlich mit vielen, bunten Blumen geschmückt gewesen und viele Gäste hätten auch noch Blumen gebracht, Kränze wären nicht darunter gewesen. *** |