| Ein Schiffer sieht rot. Von der anderen Seite des Flusses erklangen jauchzende Stimmen. Hanni stand allein am Ufer. Die großen Vettern und Basen, mit denen sie gemeinsam die Sommerferien bei den Großeltern verbrachte, hatten sie einfach hier stehen gelassen. Sie wäre so gerne mit ihnen geschwommen. Ihr Lieblingscousin Fritz war über ihr Betteln böse geworden: "Die Oder ist kein Schwimmbad, du bist noch viel zu klein, du bleibst hier, bis wir zurückkommen. Guck her, den Stock stelle ich in das Wasser. Bis zu ihm darfst du gehen" befahl er Hanni. Fritz trieb einen Stock in den Grund und drohte Hanni viele Strafen an, wenn sie weiter hinaus schwimmen würde. Die Drohungen nahm Hanni nicht ernst, sie wußte, Fritz würde ihr nichts tun. Hanni setzte ihre rote Badekappe auf, Fritz hatte sie ihr zur Freiprobe als Schwimmerin vor zwei Monaten geschenkt. Hanni war sehr stolz auf diese neue Kappe. Sie ging in das Wasser, patschte darin herum, ließ sich fallen, versuchte die kleinen Fischchen, die um ihre Beine schwammen, zu verjagen. Bald wurde ihr langweilig. Jetzt stand sie bereits neben dem Stock, das Wasser reichte ihr gerade bis zum Nabel. In so flachem Wasser würde sie nicht schwimmen. Wütend schlug Hanni mit der Hand in das Wasser, riß den Stock heraus und warf ihn weit in den Fluß. Warum sollte sie nicht in der Oder schwimmen? Es konnte doch nicht gefährlicher als in der Badeanstalt sein. Gefährlich waren nur die Buhnenköpfe, ihnen durfte sie nicht zu nahe kommen. Immer und immer wieder war das Hanni eingeimpft worden: "Dort sind Strudel, wenn du da rein fällst, ziehen sie dich runter. Keiner kommt dann mehr heraus, auch große Leute und der beste Schwimmer nicht!" Manchmal hatte Hanni auf den Steinen des Buhnenkopfes gestanden und in die kleinen Wasserstrudel geschaut, die ihn umspielten. Sie sahen so harmlos aus. Hanni beschloß, zu Fritz auf die andere Seite zu schwimmen. Sie achtetete darauf, daß sie genau in der Mitte der beiden Buhnen blieb. Dann mußte sie nur geradeaus zur anderen Seite hinüber schwimmen. Es war wunderbar in dem warmen, ruhigen Wasser. Doch unversehens wurde Hanni von der Strömung erfaßt, die durch leichtes Hochwasser stärker als üblich war. Sie wurde unsicher, verlor die Richtung, ließ sich vom Wasser treiben. Wie schnell und leicht das ging. Schon war sie an der nächsten Buhne vorbei. Hanni wäre am liebsten immer weiter geschwommen. Hanni wollte jedoch auf die andere Seite, sie würde jetzt sofort dorthin schwimmen. Immer wieder geriet sie in die Strömung zurück, die sie weiter mit sich nahm. Gefährlich nahe war ein Buhnenkopf. Hanni zog mit einer Bewegung wieder zur Flußmitte und nahm hinter der Buhne den Kampf mit dem Wasser neu auf. Sie war schon erschöpft, so breit hatte der Fluß vom Ufer aus nicht ausgesehen. Sie bekam Angst, wenn doch Fritz jetzt bei ihr wäre. Das Wasser wurde endlich wieder ruhiger. Bald spürte Hanni Grund unter den Füßen. Sie kletterte zum sandigen Ufer hinauf, sie riß die rote Kappe von ihrem Kopf und warf sie in den Sand. Strahlend drehte sie sich zum Fluß um, hob ihre Arme in die Luft und jubelte laut: "Ich habe es geschafft! Ich bin ganz allein über die Oder geschwommen. Fritz wird mich bewundern." Sie legte sich in den Sand und ließ sich von der Sonne trocknen. Von weit her klangen Stimmen an ihr Ohr. Sie hatte die anderen Kinder vergessen, die waren schon wieder auf der anderen Seite: 'Die werden sich fragen, wo ich bin.' Dann fielen Hanni ihre Kleider ein, die drüben auf der Wiese lagen. Hanni fand, daß sie schnell zurückschwimmen sollte, sonst könnte Fritz denken, daß sie ertrunken sei. Hanni setzte ihre rote Badekappe auf und lief in das Wasser. Dann begann sie zu schwimmen. Wie ruhig das Wasser war. Mit weit ausholenden Bewegungen setzte sie zur Flußmitte an. Angst hatte Hanni nicht mehr. Stromabwärts kam ein Lastkahn, der Schiffer stand am Steuer. Im nächsten Hafen wollte er anlegen, seine Frau wollte einkaufen. Sie stand neben ihm. Der Schiffer entdeckte weit voraus einen kleinen, roten Ball mitten in der Fahrrinne. Manchmal tauchte er unter Wasser, dann war er wieder zu sehen. Plötzlich blieb dem Schiffer fast das Herz stehen. Neben dem roten Ball griff ein Arm wie hilfesuchend in die Luft und versank wieder. Der Schiffer brüllte in den Maschinenraum: "Stop", drückte seiner Frau das Steuerruder in die Hand, rannte wie der Blitz zum Kahn am Ende des Bootes. Er riß mit einem Ruck das Seil, mit dem es am Schiff hing, aus seiner Verankerung. In den Kahn springen und wie ein Wahnsinniger mit dem Rudern zu beginnen, war eins. Das rote Ding war, wie er jetzt wußte, ein Mensch in höchster Not. Er mußte gegen die Strömung kämpfen, es ging ihm viel zu langsam. Der Fluß half ihm jedoch und führte mit seinem schnellen Lauf den Ertrinkenden näher. Der dort im Wasser kämpfte verzweifelt um sein Leben, er gab nicht auf. Der Schiffer schrie ihm zu: "Halte durch, ich komme!" Endlich war er nahe genug und sprang in das Wasser. Er achtete nicht auf seinen Kahn, der zurücktrieb. Die kleine Gestalt, die er zu fassen bekam, war ein Kind, ein Mädchen mit einer roten Badekappe. Der Schiffer schwamm mit dem Kind zum nahen Ufer. Es war nicht das erste Mal, daß er Menschen vor dem Ertrinken rettete. Wenn noch ein kleiner Funken Leben in diesem Mädchen war, würde er es wieder zurückholen. Er hörte Rufe. Ein großer Junge kam atemlos angerannt, er fiel neben dem Schiffer nieder. Der war erschöpft, aber erleichtert sagte er dem Jungen: "Sie lebt!" Dem Jungen, es war Fritz, liefen die Tränen über das Gesicht. Er nahm Hanni die Badekappe ab und fuhr sacht über ihre Haare. Er fragte mit sanfter Stimme: "Hanni, was hast du denn gemacht?" Ein schwacher Seufzer kam von der kleinen Gestalt, blaue Augen öffneten sich langsam. Leise, kaum vernehmbar, erklang es: "Fritz, ich habe es geschafft, ich bin zweimal über die Oder geschwommen!" Mit einem kleinen Lächeln um die blassen Lippen schloß Hanni wieder ihre Augen. *** |