Katzenjammer

Irgendwann bekommt man so ein süßes, kleines Katerchen geschenkt. Die Großen und die Kleinen sind in das Schmusetierchen völlig vernarrt. Aber leider wächst das Katerchen. Bald ist aus ihm ein großer, ausgewachsener Kater geworden, der gern seine eigenen Wege geht. In einer Großstadt ist das nicht erwünscht.

Dieser Kater, von dem hier die Rede sein soll, hatte es gut angetroffen, sein Frauchen wohnte in einer ruhigen Gegend, sie besaß einen Garten und alle Nachbarn ringsherum hatten auch einen Garten. Der Kater konnte herumstreichen so viel er wollte.

Er besuchte nette Katzendamen, mit denen er zu gewissen Zeiten, laute, aber mißtönende Konzerte aufführte. Die Nachbarn beschwerten sich des öfteren. Obwohl der Kater keinen Hunger leiden mußte, hatte er immer Appetit auf eine Amsel, auf ein Spätzchen oder auf eine Meise. Die Nachbarn waren empört. Die Familie faßte einen Entschluß: "Der Kater muß aus dem Haus."

Aber wie machte man das? Man konnte ihm nicht einfach ein Ränzchen schnüren, ein paar gebratene Mäuslein und ein Fläschlein Milch einpacken und für alle Fälle eine Mark dazu legen. Und dann schickte man ihn auf die Reise.

Wenn der arme Kater ahnte, welche Gewitterwolken sich auf seinem Haupt zusammenzogen, würde er seine Jagdleidenschaft erst einmal zurückgestellt haben, würde nur lieb und brav auf seinem Platz am Ofen sitzen und keine Vögel und Kätzinnen mehr beachten. Aber er war eben ein dummer Kater und hoffte, daß sein gesichertes Leben so wie bisher weiter gehen würde.

Die Familie suchte die Verwandtschaft auf, Bittbriefe wurden geschrieben. Doch niemand brauchte einen Kater. Was nun? Der Opa überlegte: "Da sind doch Wolfgang und Marianne. Mariannes Eltern wohnen draußen im Vorgebirge. Da gibt es noch Bauern. Die können immer eine Katze gebrauchen. So viele Mäuse, wie es in einer Scheune gibt, kann der Kater gar nicht fangen. Hunger wird er also nie leiden. Der Bauer wird ihm noch dankbar sein und hin und wieder ein Schälchen Milch bereit stellen."

Diesen Vorschlag lehnte Marianne ab. "Was stellst du dir vor, Opa. Wir können doch nicht einfach zu einem Bauern in das Haus gehen und sagen `Guten Tag, braucht ihr eine Katze?"

Der Opa meinte: "Das ist ja auch nicht nötig. Ihr setzt die Katze im Garten aus. Die sucht sich dann ein warmes Plätzchen in einem Bauernhaus in der Nachbarschaft. Ein Schüsselchen Futter fällt immer ab."

Dieser Plan wurde von Gretchen empört zurückgewiesen. Sie wollte ihn nicht weggeben. Schließlich hatte sie ihn aufgezogen und ihr würde das Herz brechen, wenn man den Kater so kaltherzig aussetzen würde. Vielleicht hatte der Kater den Braten gerochen, denn einige Tage ging es gut. Aber eben nur zwei, drei Tage, dann ging er wieder auf die Jagd und holte sich im Garten des Nachbarn eine Amsel. Dabei wurde er beobachtet. Empört klingelte der Nachbar bei den Katzenbesitzern und verlangte, daß der Kater eingesperrt werden müßte.

Die Familie ordnete Hausarrest an. Gretchen hielt dem Kater eine Gardinenpredigt. Mit hocherhobenenem Schwanz strich er miauend um ihre Beine. 'Ja, ganz genau hätte er es verstanden, niemals mehr würde er einen Vogel fangen.' Aber das ging nicht einmal vierundzwanzig Stunden gut, schon war er wieder entwischt. Damit war das Urteil endgültig gefällt, der Kater wurde in die Verbannung geschickt.

Zwei Tage später wurde der Kater von Marianne und Wolfgang trotz seines heftigen Wehrens in eine große Tasche gesetzt und mit aufs Land genommen. Im Garten von Mariannes Eltern wurde der Kater aus der Tasche herausgelassen. Mit einem Satz verschwand er im Gebüsch. Bis zum Abend wurde der Garten einige Male nach dem Kater abgesucht, aber er ließ sich nicht mehr sehen. Dem Opa wurde gesagt, daß er mit seiner Vermutung Recht gehabt hatte. Der Kater hätte das warme Plätzchen bereits gefunden.

Da er in den nächsten Tagen auch nie mehr zu sehen war, wurde von allen erleichtert angenommen, daß er wieder liebevolle Pflegeeltern gefunden hatte. Doch dann sah Elisabeth, Mariannes Mutter, zu ihrem Erstaunen mitten im Hühnerhof an der mit Kartoffeln gefüllten Futterschüssel eine Katze sitzen. Sie erzählte: "Ich glaube, das war der Kater von Gretchen. Aber ganz sicher bin ich nicht, ich habe ihn ja nicht gesehen, als er hier freigelassen wurde."

Als Elisabebeth sich näherte, war die fremde Katze schnell verschwunden. Es war wohl nicht der Kater gewesen, den in den folgenden Tagen tauchte er nicht mehr auf.

Nach zwei Wochen sah man ein scheues, ängstliches Katzentier des öfteren durch den Garten flitzen. Oft sprang es schnell aus dem Hühnerhof, wenn ein Mensch in die Nähe kam. Vielleicht trank es dort Wasser und kostete auch vom Hühnerfutter. Auf Zurufe reagierte die Katze nicht, ließ auch niemanden an sich heran. Der verschmuste, zutrauliche Kater war ein wildes, scheues Tier geworden.. Elisabeth stellte täglich ein Schüsselchen mit Essensresten im Garten hin. Immer war die Schüssel leer, doch der Kater schlich sich nur heran, wenn kein Mensch zu sehen war.

Inzwischen war Elisabeth zur Überzeugung gekommen, daß etwas geschehen müsse. Die Stadtkatze hatte keinen Mut, sich in ein fremdes Haus einzuschleichen, oder vielleicht wurde sie mit Schimpfworten oder Steinwürfen vertrieben. Elisabeth wollte den großen Kater auch nicht im Hause haben, für ihren zahmen Kanarienvogel hätte dann wohl sehr schnell das letzte Stündlein geschlagen. Doch bald war Herbst, was würde aus dem Kater im Freien. So ein Tier braucht außer Futter auch ein warmes Plätzchen und etwas Liebe. Elisabeth plädierte für die Rettung des Katers. Es wäre Tierquälerei, wenn keiner etwas für ihn unternehme.

Was sollte man tun? Einen Tag lang wurde kein Futter hingestellt. Als der Kater am nächsten Tag seine Schüssel entdeckte, kam er ohne Vorsicht angeschlichen. Elisabeths Mann, der in der Nähe der Futterschüssel in Deckung stand, packte das Tier und steckte den sich sträubenden, sich wehrenden und fauchenden Kater in ein leeres Fach des Kaninchenstalles. Elisabeth schob vorsichtig ein Schüsselchen mit Milch und eines mit Futter hinein. Sie sprach beruhigend auf ihn ein. Ob er sie verstand? Aber nach einigen mißtrauischen Blicken und jammervollem miauen schleckte der Kater beide Schüsselchen leer, putzte sich und legte sich zur Ruhe.

An Abend, als Marianne und Wolfgang mit dem Motorrad zu ihrer Kölner Wohnung fuhren, hatte Marianne wieder eine große Reisetasche vor sich stehen, in dieser saß der fauchende Kater.

Als diese Geschichter passierte, bestanden in Köln noch ganze Straßenzüge aus Ruinen, die Häuser waren dem Bombenhagel des zweiten Weltkrieges zum Opfer gefallen. Hinter dem Wohnhaus von Gretchen befanden sich Gärten, die sich bis zur gegenüberliegenden Straßenfront hinzogen. Diese Straßenfront bestand jedoch überwiegend aus Schuttbergen und Absperrzäunen. Dort hielten Marianne und Wolfgang an, öffneten an einer der Zaunlücken die Tasche und "Husch" war der Kater weg.

Marianne und Wolfgang fuhren zu Gretchen, der sie täglich einen kurzen Besuch abstatteten. Die Fenster der Küche, in der sie alle zusammensaßen, waren geöffnet. Marianne erwartete jeden Moment, daß der Kater hereinspringen würde. Sie wußte nicht, wie sie sich dann verhalten sollte. Ganz schnell beendeten darum die beiden ihren Besuch. Aber es ließ sich kein Kater sehen, es wäre traurig, wenn er nicht in sein altes Heim zurückfinden würde.

Als sie am nächsten Abend, wie üblich, jedoch etwas zaudernd, bei Gretchen klingelten, erwartete sie eine aufgeregte und strahlende Familie. "Denkt mal, vorhin beim Nachmittagskaffee sah auf einmal der Kater zum geöffneten Fenster herein. Drei Wochen war er fort. Auf einmal ist er wieder hier. Wo mag er nur gewesen sein? Wie hat er zurück nach Köln gefunden. So etwas ist doch fast unmöglich, ihr hattet ihn doch auf dem Motorrad mit auf das Land genommen. Wenn man ihn nicht hier sähe, würde man es gar nicht glauben. Der arme Kerl, er ist so abgemagert, sein Fell ist ganz struppig. Er ist auch so scheu und läßt sich nur von Gretchen ganz kurz streicheln. Bei den anderen läuft er sofort weg."

Der Opa erzählte daraufhin Geschichten von Hunden und Katzen, die Hunderte von Kilometern den Weg zurück zu ihren Herrchen gefunden hätten. Diesen Kater hätte der gleiche Instinkt und die Sehnsucht nach seinem Frauchen zurückgetrieben.

Marianne und Wolfgang beschlossen, diese schöne Geschichte von Katers Heimkehr nicht zu zerstören und ließen alle bei dem Glauben, der Kater wäre auf seinen eigenen vier Beinen nach Köln zurückgekehrt. Wolfgang sagte sogar: "Euer Kater kannte halt das Lied, ich möcht zo Fuß no Kölle gon."

Und nun fand der Kater wieder eine liebevolle Aufnahme bei seinem Frauchen, die ihn nicht mehr hergeben wollte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann . . .

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