HELGOLAND

Ich stehe in Cuxhaven am Fährhafen. In wenigen Minuten soll ein Fährschiff nach Helgoland ablegen. Ich schaue den einsteigenden Passagieren zu. Sehnsucht befällt mich, ich schließe die Augen und fange an zu träumen. Das blaue Meer, die Sonne, die roten Felsen, es muß wunderbar sein.

Warum fahre ich eigentlich nicht mit? Niemand wartet heute auf mich. Wenige Minuten später stehe ich an der Reling, das Schiff ist bereits auf dem Weg nach Helogland

Soeben bin ich die Gangway des großen Bäderschiffes zum Fährboot herabgestiegen. Ich hatte ein bißchen Angst, es ist immer etwas abenteuerlich. Doch die Nordsee zeigt sich von ihrer besten Seite. Mit mir sitzen weitere erwartungsvolle Helgolandbesucher im Boot. Die Sonne scheint warm, leichter Seewind streichelt meine Haut. Über mir fliegen weiße Möven, hin und wieder schnappen sie nach den ihnen zugeworfenen Brotstücken. Sacht kräuseln sich die Wellen im Sonnenlicht.

Endlich erkenne ich das rote Felsmassiv, es steigt hoch aus dem Wasser. Es ist ein überwältigender Anblick für mich. Ich weiß jetzt schon, daß es ein herrlicher Tag werden wird.

An der Landungsbrücke steigen wir alle aus dem Boot. Ich bleibe noch stehen, schaue mich um und beschließe, zuerst einen Spaziergang durch die untere Stadt zu unternehmen. Die Häuser sind gepflegt, einige größere Hotels fallen mir auf. Die Straßen wirken steril, ich vermisse etwas. Dann fällt es mir auf: es gibt keine Autos auf der Insel. Ich wollte alle Sehenswürdigkeiten von Helgoland aufsuchen, wie werde ich das ohne Auto schaffen?

Ich gelange wieder in den Hafen und komme an bunten Holzhäusern vorbei, das sind die Hummerbuden, in denen Fischer ihre Geräte aufbewahren. Ich steige zum Oberland hinauf, es gibt irgendwo einen Fahrstuhl, der hinauf führt. Doch die kleine Mühe des Fußweges wird durch die weite Aussicht bei weitem wettgemacht. Ich bin schon oben, rechts liegen viele kleinere Häuser um eine Kirche geschart. Dorthin werde ich später gehen.

Jetzt wandere ich langsam über weite Grünflächen. Die Luft schmeckt salzig, die Brise, die von der See her weht, bringt Erfrischung. Hier oben habe ich einen ungestörten Ausblick auf das Blau aufleuchtende Meer. Weit draußen sind einige Schiffe zu entdecken. Sagen und Märchen werden wach. Ich denke an die wechselhafte Geschichte, die den Inselbewohnern nicht immer glückhafte Zeiten beschert hat. Die Ära der Seeräuber, Schmuggler und Piraten ist vorbei, in längst vergangenen Zeiten haben sie die Insel als ihr sicheres Domizil betrachtet. Die rotbraunen, gewaltigen Felsen, die grünen Wiesen, auf denen Schafe weiden, die weiße Gischt der Dünungswellen gaukeln mir ein kleines Naturparadies vor. Es ist wohl das Besondere an Helgoland, daß fast jeder Besucher seine Gedanken in die Vergangenheit abschweifen läßt. Mir ergeht es nicht anders.

Ich muß weiter. Es gibt noch viel zu sehen. In der Nähe der Seevogelfelsen kann ich den An- und Abflug der Lummen bewundern. Ein Wanderer, den ich treffe, erzählt mir von dieser Vogelart, ich hatte noch nie etwas von ihnen gehört. Die sogenannten Lummenfelsen seien die einzigen Brutstätten dieser Seevögel in unseren Breiten. Er empfiehlt mir auch die Vogelwarte als lohnendes Ziel, doch bei allem Betrachten und Schauen habe ich mich schon zu lange aufgehalten.

Ich entdecke die Düne, vor Jahren war sie noch mit der Hauptinsel verbunden. Dort ist auch der Badebetrieb. Das Wetter lockt zu einem Besuch, aber ich habe keinen Badeanzug mit. Dann muß ich lächeln, dort drüben brauche ich gar keinen, ich könnte ja an den FKK-Strand gehen.

Mein Rundgang ist beendet. Ein Auto hätte ich dafür wirklich nicht gebraucht. Ich gehe in die obere Stadt. Viele Pensionen bieten Zimmer an, es ist noch nicht Hauptreisezeit. Freundlich aussehende, kleine Gaststätten laden zu einem Besuch ein. Ich bekomme Hunger, ich werde gleich einmal etwas essen. Frischer Fisch muß es sein, noch besser wäre Helgoländer Hummer.

Der Hummer ist vorzüglich, das zum Essen genossene Glas Wein stimmt mich wehmütig. Ich vermisse die kleinen verwinkelten Gäßchen mit dem Kopfsteinpflaster, die bunten Holzhäuschen, die gefährlichen Seeräuber. Doch was vorbei ist, kommt nie mehr wieder. Aber auch das moderne Helgoland übt einen besonderen Reiz auf mich, genau wie auf alle Besucher, aus.

Langsam geht dieser Besuchstag in Helgoland dem Ende zu. Das Fährboot nimmt mich wieder auf. Ich schaue zur Insel, so lange ich sie noch sehen kann. Im letzten Sonnenlicht leuchtet die steile, großartige Felsenküste in einem goldenen Schimmer auf.

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