| Gefahr am Straßenrand. Zwei Wochen Mallorca zum Sonderpreis hatten Daniel und Nico gebucht. Der blaue Himmel und die strahlende Sonne hielten, was das Prospekt versprochen hatte. Dafür verleidete ein kühler Wind den Aufenthalt am Meer. Enttäuscht saßen die beiden Freunde in einem Eiscafé. Daniel klagte über Langeweile. Nico schubste ihn an: "Mensch, dort drüben kann man Motorroller mieten. Morgen früh holen wir uns welche und fahren kreuz und quer über die Insel. Das wird super." Tag für Tag fuhren die Freunde von einem Ort zum anderen. Jeden Abend legten sie die Route für den nächsten Tag fest. Sie hielten in kleinen, romantischen Städten, reihten sich in Palma in den Touristenstrom ein und besuchten Burgen und Klöster. Daniel wußte, daß er in seiner Clique nur ätzenden Spott ernten würde, wenn er von seinem Urlaub berichtete. Er selbst war überzeugt, daß dieser Urlaub der schönste in seinem siebzehnjährigen Leben war. Atemberaubend waren die tiefen Schluchten neben der in vielen Serpentinen hinabführenden Straße. Oft stiegen die beiden Freunde von ihren Rollern und staunten über gewaltige Felsen, die aussahen, als müßten sie ihren Halt verlieren und in unzugängliche Täler stürzen. In der Ferne entdeckten sie kleine Häfen, die sie zu einem Besuch verlockten. Heute war ihr letzter Urlaubstag, den wollten sie bis zur letzten Minute genießen. Daniel und Nico sollten jetzt am späten Nachmittag bereits weit unten im Tal sein, damit sie noch vor der Dämmerung ihr Hotel erreichten. Sie erhöhten ihr Tempo. Unzählige haarnadelscharfe Kurven führten in die Ebene. Die kleinen Fahrzeuge wurden schneller. Daniel spürte, daß er die Gewalt über seinen Roller verlor. Er drosselte sein Tempo. Nico war weit vor ihm. Daniel rief ihm eine Warnung zu. Es war zu spät. Der blaue Roller kam ins Schleudern, geriet an den Straßenrand. Nico versuchte mit den Füßen abzubremsen, das machte es nur noch schlimmer. Plötzlich verschwand Nico in der Tiefe. Der entsetzliche Schrei, der in Daniels Ohren klang, war er von Nico oder hatte er ihn selbst ausgestoßen? Wie in einem Schock fuhr Daniel zur Absturzstelle weiter. Ein verlassener Schuh bezeichnete sie. Von Nico war nichts zu sehen. Daniel beugte sich über den Abgrund, entsetzt trat er zurück. Dort unten konnte keiner mehr leben. Blitzschnell durchfuhr Daniel der Gedanke: "Nichts wie weg, morgen ins Flugzeug. Ich habe nichts gesehen. Keiner weiß, daß ich mit Nico unterwegs gewesen war." Daniel zwang sich zur Ruhe. Er überlegte. Bestimmt kommt bald ein Auto. Doch die Straße blieb leer. Voller Kummer stellte er seinen Roller an den Straßenrand. Auf die Rückseite der Straßenkarte schrieb er: "SOS - Hilfe - Help. Hier ist ein Mann abgestürzt. Ich gehe zu ihm." Widerstrebend begann Daniel mit dem Abstieg. Vorsichtig tastend setzte er seine Füße auf sicher erscheinende Felsbrocken. Daniel rief ständig Nico`s Namen. Es kam keine Antwort. Die Sonnenstrahlen verschwanden aus dem Tal, wanderten die Felswände hinauf, die jetzt grau und bedrohlich wirkten. Daniel entdeckte weit unten etwas Blaues, das konnte der Roller sein. Das war sein Ziel, er mußte es erreichen. Ein schmaler Abhang kam in sein Blickfeld. Dort lag eine seltsam verdrehte Gestalt. Nico! Daniel wagte kaum die letzten Schritte zu ihm zu gehen. Wenn Nico nun tot war; Schauer jagten über Daniels Rücken. Er erreichte Nico und kniete sich neben ihm nieder, kaum vernehmlich kam ein Schmerzenslaut über dessen Lippen. Was sollte Daniel unternehmen. Sollte er Nico richtig lagern, Blut stillen, Knochenbrüche ruhig stellen? Den Sturzhelm hatte Nico nicht verloren, sollte er ihn abnehmen oder war es besser, ihn nicht zu berühren. Wichtig war es, mit ihm zu sprechen, ihm zu zeigen, daß er nicht allein war, ganz zart strich er über das blutige Gesicht. Nico spürte Daniels Nähe, seine Lippen bewegten sich. Daniel konnte die geflüsterten Worte nicht verstehen. Bald verlor Nico wieder das Bewußtsein. Es war dunkel geworden, ein kalter, heller Mond ließ die Felsen zu bizarren Gestalten erstehen. Es wurde bitterkalt. Eine tiefe Verzweiflung hatte Daniel gepackt. Der Verletzte sollte warm gehalten werden, aber wie? Daniel zog seinen Anorak aus, legte ihn über Nico. Daniel legte sich so nahe wie möglich zu Nico. Vielleicht konnte es ihm helfen. Unendlich langsam verging die grauenvolle Nacht. Die Dämmerung brach an. Die aufgehende Sonne erfaßte hoch oben den silbernen Leib eines Flugzeuges. In wenigen Stunden würden beide nach Hause fliegen. Zutiefst erschrocken fiel Daniel ein, wo er sich befand. Warum nur fuhr oben kein einziges Auto vorbei, jemand mußte den Roller doch sehen. Über das Tal flog ein gelbes, schwerfälliges Flugzeug. Voll Hoffnung erhob sich Daniel und winkte. Ob sie ihn entdecken würden? Nein, das Flugzeug verschwand hinter den Bergen. Mit einem Gefühl von Haß schaute Daniel ihm nach. Das Flugzeug kehrte zurück, kreiste immer und immer wieder über dem Tal. Vielleicht hatten sie doch sein Winken gesehen. Aber hier gab es keinen Platz zum landen. Schluchzend warf sich Daniel wieder neben Nico nieder. Er konnte nicht ahnen. daß die beiden Männer in dem gelben Flugzeug ihn entdeckt und bereits einen Hilferuf an ihren Stützpunkt durchgegeben hatten. Geschult auf jede Veränderung in dem von ihnen zur Brandbekämpfung überwachten Gelände zu achten, war ihnen das in den Sonnenstrahlen aufleuchtende blaue Fahrzeug aufgefallen. Sie hatten in der Tiefe die winzige Gestalt entdeckt. Sie wußten, dort war ein Mensch in Not. Um ihm zu zeigen, daß er nicht vergessen war, flogen sie immer wieder über die Schlucht. Brummend wie ein riesiger Hornissenschwarm, erschien über dem Felsmotiv ein Hubschrauber. Das gelbe Flugzeug verschwand. Daniel riß es wieder hoch. Der Hubschrauber drehte tiefer, fand einen Platz auf einem Plateau, nur wenige Meter von den Beiden entfernt. Die Tür öffnete sich, zwei Männer stiegen aus. Dann ging alles blitzschnell. Nico wurde vorsichtig in den Hubschrauber getragen, Daniel stieg mit hinein. Als der Hubschrauber bereits hoch über dem Tal war, wich endlich die Angst von ihm. *** |