Am Freitag, dem Dreizehnten hatte mein Schutzengel Urlaub.

Der Tag hatte böse angefangen. Schon am frühen Morgen hatte nichts geklappt. Manchmal wird ein Tag, der schlecht begonnen hat, im Lauf der Stunden noch ganz erträglich. An diesem aber wurde es immer schlimmer. Der Abend schließlich versprach alles in den Schatten zu stellen.

Ich wurde wach, weil jemand wild an meine Tür hämmerte. Ein Blick auf die Uhr. Oh weh, ich hatte verschlafen. Mit einem Satz war ich auf den Beinen. Die Weiterfahrt mit dem Reisebus war auf acht Uhr festgesetzt und ich lag noch im Bett. Ich nahm an einer Fahrt teil, bei der wir einige Landschaften und Städte Polens besuchten. Pünktlichkeit wurde von allen vorausgesetzt. Ausgerechnet ich war die Erste, die dieses Gebot übertraf.

Verzagt öffnete ich die Tür des Hotelzimmers. Die Reiseleiterin stand davor. Als Lucyna sah, daß ich nicht krank war, runzelte sie die Stirn und vergaß ihr Lächeln. In zehn Minuten müßte ich am Bus sein, sonst würde er ohne mich abfahren. Wütend warf ich meine Sachen in den Koffer, Morgenwäsche und Frühstück mußten ausfallen. Als ich ins Freie trat, schlug mir Regens ins Gesicht, es goß in Strömen. Auch das noch, es war wie verhext. Aber wie konnte es an einem Freitag, dem Dreizehnten, anders sein.

Ich schleppte den Koffer über einen holprigen Weg voller Pfützen. Als ich um die Hausecke bog, sah ich den Bus stehen, na wenigstens hatte Lucyna Mitleid mit mir gehabt. Von drinnen wurde ich gewiß schadenfroh beobachtet. Sogar der Busfahrer stieg erst aus, als ich drei Schritte vor dem Fahrzeug stand, dann wuchtete er meinen Koffer schwungvoll in den Kofferraum.

Naß wie eine gebadete Katze und außer Atem stieg ich ein, meine kleinlaut gemurmelte Entschuldigung wurde mit eisigem Schweigen quittiert. Sie ließen mich ihre Empörung spüren. Wie eine arme Sünderin saß ich da, nicht einmal meine Sitznachbarin wechselte ein Wort mit mir. Auch nach längerer Zeit löste sich das Schweigen nicht, keiner lachte und unterhielt sich. Lucyna gab keine Erklärungen zu den heutigen Besichtigungen ab. Der Scheibenwischer konnte die Wassermassen, die vom Himmel strömten, gar nicht schaffen. Langsam dämmerte es mir, daß die mürrischen Gesichter nicht mir galten, sondern dem grauen, nassen Wetter.

Lucyna hatte uns gestern vor einem kleinen Hotel mitten im Wald abgesetzt. Das war nicht vorgesehen, jeder murrte über die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wurde. Nach einem deftigen Abendbrot, das mit einigen von Lucyna und dem Wirt gespendeten Schnäpsen gewürzt worden war, beruhigten sich die Gemüter. In der kleinen Gaststube saßen wir eng beieinander. Die Wirtsfamilie bemühte sich um uns, es gab keine anderen Gäste. Einer hielt eine kurze Rede. Das mal etwas schief ging, gehöre zu einer Reise. Wir sollten uns fühlen wie auf einer Feier bei Verwandten auf dem Land. Der Großvater der Wirtin kam mit einem alten Akkordeon angeschlurft und spielte deutsche Volkslieder, bald wurde mitgesungen. Als er zu Walzer und Polka überging, ließen sich die Ersten zu einem Tänzchen verlocken.

Kurz nach Mitternacht veriet Lucyna, daß Fritz Welter nun seinen 70. Geburtstag feiern können. Die Stimmung stieg, keiner wollte schlafen gehen. Lucyna beendete um drei Uhr die Party. Einen Tanz erlaubte sie noch und der Wirt spendierte einen Wodka zum Abschied. Es fiel ihm sicher nicht schwer, denn die Gäste hatten seinen Kasse gefüllt.

Für mich begann der Ärger dieses Tages bei diesem letzten Tanz. Der Raum war viel zu klein zum Tanzen und jedes Paar drehte sich da, wo nur ein Plätzchen frei war. Ich tanzte mit Welter und wir stießen bei einer schwungvollen Drehung mit der Bedienung zusammen. Sie ließ das Tablett mit dem Abschiedsgetränk aus den Händen fallen. Alles landete klirrend und scheppernd auf dem Boden. Ich machte mich schnell aus dem Staube. Jetzt im Bus überlegte ich, wer für den Schaden aufgekommen war. Eigentlich hatte der Wirt keinen Schaden gehabt, ob wir den Wodka getrunken hätten oder ob der auf dem Boden gelandet war, spielte für ihn keine Rolle. Mich plagte mein schlechtes Gewissen. Hätte ich jedem ein neues Glas spendieren sollen?

Der Regen hörte auf, die Wolken verzogen sich, zaghaft lugten die ersten Sonnenstrahlen hervor. Der Bus hielt vor einem Kloster, welches wir besichtigen wollten. Ich kam mir ein bißchen ausgestoßen vor und überquerte als letzte die breite Straße. Ein einziges Moped kam angefahren. Als es neben mir war, bremste der Fahrer ab. Ich spürte einen Ruck am linken Arm, der Motor heulte auf und ehe ich begriff, war der Mopedfahrer mit meiner Handtasche um die nächste Ecke. Nun reichte es mir aber wirklich. Schon war ich wieder der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wie ich das haßte. Lucyna bewahrte Ruhe, sie nickte zufrieden, als ich ihr erklärte, daß in der Tasche nicht viel Geld gewesen war

Die Klosterglocken läuteten den Mittag ein, nur Ärger hatte mir dieser Morgen beschert. Das Reiseprogramm war durcheinander geraten, wer war schuld? Nur ich allein. Das heutige Zielhotel hatte wieder vier Sterne. Als ich mein Zimmer betrat, beschloß ich, alle Unternehmungen des heutigen Tages links liegen zu lassen und meldete mich bei Lucyna ab. Ich wollte nur schlafen.

Am Abend war ich wieder bereit, den Kampf gegen die Unbill des Lebens aufzunehmen. Was sollte mir nach dieser Pechsträhne noch geschehen. Mein Optimismus wurde gestärkt durch die freundliche Anteilnahme meiner Reisegefährten. Keiner sprach von der Verspätung,. alle bedauerten mich und wollten mir mit Geld aushelfen.

Nach einer Folklorevorstellung schlenderten wir zum Hotel zurück. Es war eine warme Mainacht. Ich war glücklich, durch die Straßen dieser Stadt gehen zu dürfen. Sie war mir einmal vertraut gewesen. Fritz Welter ging neben mir und hörte meinen Erzählungen zu. Plötzlich trat ich ins Leere und ehe er zupacken konnte, lag ich auf der Nase.

Lucyna wollte mit mir in ein Krankenhaus, ich sträubte mich. Da ich aber nicht mehr auftreten konnte und im Gesicht blutig war, mußte ich ihren Rat befolgen. Sie fragte mich nach Geld. Auf ihr Geheiß hatten weder ich noch die anderen viel mitgenommen. Eine Sammlung erbrachte zweihundert Zlotys. Lucyna hielt ein Taxi an und wich mir nicht mehr von der Seite, sie nahm mir damit die Angst vor allem, was kam. Zwei Stunden später geleitete sie mich zum Hotel zurück, das Geld hatte nicht gereicht, doch der Polin Lucyna vertraute man, daß sie den Rest bringen würde.

Mir tat es überall weh, Im Mund spürte ich Fäden, an beiden Beinen hatte ich Verbände, das Gesicht war verschwollen. Ich haderte mit meinem Schicksal. Warum hatte dieser Tag ausgerechnet für mich allein solch einen Verdruß gebracht. Konnte das Los den geballten Ärger nicht auf mehrere verteilen, wir waren schließlich dreißig. Wer hatte mich zum Pechvogel dieses Dreizehnten erwählt?