Über alle Berge war der Dieb.

Seit einem Jahr war Rudolf Abel Rentner. Um der Langeweile seiner ereignislosen Tage zu entgehen, unternahm er mit seinem Schäferhund bei jedem Wetter weite Spaziergänge. Zwei Stunden war er diesmal mit Rex durch den Wald gelaufen. Jetzt war er wieder auf der einsamen Landstraße, auf der er sein Auto abgestellt hatte. Fröstelnd stellte Abel den Kragen seiner Jacke auf. Das Auto war nicht mehr zu sehen. Abel stockte der Atem. Ein lauter Ruf entfuhr ihm. "Mein ist Auto weg!"

Ein fünf Kilometer weiter Fußmarsch lag nun vor ihm. Er fluchte wie ein Kesselflicker. Zu allem Unglück fing es auch noch an, zu regnen. Seine Frau würde schimpfen, wenn er zu spät zum Essen kommen würde.

Abel hatte nicht mehr auf Rex geachtet, den er an der Leine führte. Plötzlich spannte sich die lange Leine, der große Hund zog ihn kräftig hinter sich her. "Langsam, Rex, langsam. Unser Weg ist noch weit, wenn du weiter so ziehst, habe ich bald keine Puste mehr."

Abel sprach oft zu seinem Hund, wenn sie ihre langen Spaziergänge unternahmen. Er schwörte, daß Rex jedes Wort von ihm verstehen würde. Mit einem Ruck blieb Abel stehen. Er kramte in allen Taschen: 'Der Schlüssel!' Hatte er ihn stecken lassen? Es wurde ihm heiß, er fühlte Schweißtropfen auf der Stirn. Als er sein Taschentuch herauszog, um sie abzuwischen, flog der Autoschlüssel auf die Straße. Erleichtert hob er ihn auf und ging langsam weiter.

Jetzt blieb Rex vor ihm stehen und schaute ihn verlangend an, er jaulte leise. Abel löste die Leine. Auf dieser Straße war kaum Autoverkehr. Da Rex aufs Wort hörte, mußte er nicht befürchten, daß der Hund weglief. Diesmal rannte er jedoch wie der Blitz davon. Abel hörte ihn weit entfernt laut und böse bellen.

Eine Straßenbiegung versperrte Abel die Sicht. Hinter dieser entdeckte er sein Auto. Weit war der Dieb damit nicht gekommen. Er hatte verstanden es aufzubrechen und in Gang zu setzen, aber ein guter Autofahrer war er nicht gewesen. Der Wagen war von der Straße abgewichen und in einen flachen Graben gerutscht. Rex stand aufgerichtet an der Fahrertür, er knurrte drohend.

Die Beifahrertür öffnete sich, ein Mann sprang heraus und verschwand mit schnellen Schritten im Gebüsch neben der Straße. Rex bellte weiter das Auto an. Abel verhielt seine Schritte. Ob noch jemand im Auto saß? Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als nach zu sehen. Es war sein Auto und er wäre gerne damit nach Hause gefahren. Er faßte seinen Spazierstock fester und ging zögernd auf das Auto zu. Abel war erleichtert, als er niemanden mehr im Auto vorfand. Er fragte sich zaudernd, ob er gemeinsam mit Rex den Flüchtigen stellen sollte. Doch wer weiß, wie das enden könnte. Er beruhigte Rex und befahl ihm auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Er hoffte, daß er mit dem Auto ohne fremde Hilfe wieder auf den Fahrweg gelangen würde. Nach einigen vergeblichen Versuchen hatte er es geschafft.

Während der Rückfahrt überlegte Abel, ob er den versuchten Diebstahl der Polizei melden solle. Aber wie sollte er den Täter beschreiben, er erinnerte sich nur, daß es ein junger Bursche in Jeans und dunkler Lederjacke gewesen war. Eine Beschreibung, die auf Tausende zutraf. Außer einigen Kratzern an der Tür hatte er keinen Schaden an seinem Auto. Der Dieb war gewiß schon über alle Berge. Am besten war, wenn er nach Hause fuhr. Seine Frau war gewiß in Sorge wegen seines langens Ausbleibens.

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